Das ich ein ganz großer Fan von William Morris bin sieht man sofort. Auf den ersten Blick – zumindest sehen es diejenigen, die seine Werke kennen. Das Sidebar-Design meines Blogs (auch das meines Kosmetikblogs) ist ein Entwurf von William Morris.

Seine Drucke, Möbel, Gemälde gehören für mich zu den schönsten Werken, die ich kenne. Das Morris auch einige Bücher geschrieben hat, war mir bekannt, aber gelesen habe ich bis dato keines.

Bevor ich aber mein Buch vorstelle, zuerst einige Sätze über den Autor.

William Morris(1834-1896) war ein englischer Maler, Architekt, Dichter, Weber, Ingenieur und Drucker, ein Allroundtalent quasi. Er war ein Mitbegründer der britischen Arts and CraftsBewegung, einer Gegenbewegung der „industrialisierten“ Massenproduktion. Die Kunst und Schönheit des Handwerks sollte wieder mehr Beachtung erhalten. Schön im Studium trat Morris der Präraffaelitischen Bruderschaftbei. Wenn Ihr mehr über die Präraffaeliten wissen wollt, empfehle ich die englische Miniserie „Desperate Romantics“. Ich verehre sie übrigens alle (also alle der Künstler meine ich)!

Zu seinen Lebzeiten war Morris vor allem ein anerkannter Dichter, seine Märchen- und Sagenbücher waren für Tolkien und Lewis eine Inspiration. Er war auch ein begeisterter Sozialist und ein Mitbegründer der sozialistischen Bewegung, das Buch „Kunde von Nirgendwo“ ist eine Utopie seiner idealen sozialistischen Gesellschaft.

Zuletzt gründete Morris den Verlag Kelmscott Press, einen Verlag, der sich auf „schöne“ Bücher spezialisiert hat. Die Bücher waren nach gotischem Vorbild reich illustriert, Inkunabeln dienten als Inspiration. Und er gründete eine „Gesellschaft zum Erhalt historischer Bauwerke“, den Vorläufer der englischen Denkmalschutzgesellschaft „National Trust“.

William Morris war sehr belesen, angeblich hat er mit 7 Jahren schon sämtliche Romane von Sir Walter Scott gelesen. Er sprach mehrere Sprachen, seine Freizeit verbrachte er in der Bibliothek oder bei Streifzüge durch das ländliche England, auf der Suche nach Ruinen und prähistorischen Stätten (er würde „Alte Steine“ ganz bestimmt mögen). Er heiratete das Künstlermodel und seine Muse Jane Burden. Die Ehe war aber nicht glücklich, schon wenige Jahre nach der Heirat hatte Jane ein langjähriges Verhältnis mit seinem Freund Gabriel Dante Rossetti.

Wie schon oben erwähnt, ist „Kunde von Nirgendwo“ das Idealbild einer sozialistischen Gesellschaft – aus der Sicht von William Morris.

William Guest, ein Bildungsbürger des 19. Jahrhunderts diskutiert abends mit seinen Freunden über eine mögliche Revolution. Am nächsten Morgen wacht er in der Zukunft auf. Er wacht am selben Ort auf, wo er auch eingeschlafen ist, allerdings über 100 Jahre später. Die Welt hat sich extrem gewandelt. Die dreckigen Städte, die Armut, Ausbeutung, die verrußten Fabriken sind weg, die Menschen leben in Dorfgemeinschaften, im Grünen, im Einklang mit der Natur.

Die Welt in der William Guest aufwacht ist nicht modern und voll neuer technischer Errungenschaften und Entwicklungen. Sie erinnert eher ans Mittelalter. Es ist aber nicht das Mittelalter, das wir kennen, mit Krankheiten und Schmutz, großer Armut und schwerer körperlicher Arbeit. Es ist eher ein Mittelalter einer Fantasy-Geschichte, nur ohne Drachen und Zauberer.

Das Buch hat sehr viele wunderbare Ansätze, an denen ich aber immer wieder etwas für mich Störendes entdecke.

Kinder lernen so früh es nur geht. Schon mit 4 können sie lesen. Sie lernen mehrere Sprachen, weil sie im Kindesalter besonders viel aufschnappen und sich alles sehr leicht merken können. Und sie lernen nur, was ihnen Spaß macht, keiner wird zum Lernen gezwungen. Das hat dann aber auch zur Folge, dass viele der Kinder „bis zum 15. Lebensjahr lediglich ein paar Märchenbücher gelesen haben.“

„Kinder ahmen bekanntlich gern Erwachsene nach und wenn sie die meisten Leute mit wirklich unterhaltender und nützlicher wie Häuserbauen, Straßenpflastern, Gärtnerei und ähnlichem beschäftigt sehen, so treibt es sie, das Gleiche zu tun, und wir brauchen uns deshalb vor einer Überschwemmung mit Büchergelehrten nicht zu fürchten.“ 

Die Arbeit ihrer Hände macht Menschen glücklich. Das Handwerk ist nicht nur zweckdienlich, sondern kunstvoll und filigran. Die Produkte sind mit Kreativität und Liebe hergestellt und da es in der Welt kein monetäres Bezahlsystem gibt, sind sie auch für jeden erschwinglich. Die Menschen machen nur das, was sie machen möchten – eben das, was sie zufrieden macht, was ihrem Leben einen Sinn gibt.

Das ist übrigens das Geheimnis ewiger Jugend. Auch mit 40 sehen die Menschen aus wie 20… , was vermutlich aus der Zufriedenheit oder Ausgeglichenheit resultiert, kein Stress, wenige Konflikte – das hält jung. Die Arbeit ihrer Hände macht die Menschen so glücklich. Ken arbeitet bei der Ernte, Barbie in der Küche… es ist aber nicht die traditionelle Rollenteilung, es ist die Erfüllung.

Ich möchte das Buch nicht verteufeln, im Gegenteil. Viele der Ideen finde ich ganz wundervoll, nur leider erfahren wir kaum etwas darüber, wie sie umgesetzt werden. Hier eins meiner Lieblingszitate, ein Gleichnis, in dem England mit einem Garten verglichen wird.

„Jetzt ist England ein Garten, in dem nichts öde, in dem nichts verwahrlost ist, mit den nötigen Wohnungen, Scheunen und Werkstätten, die über das ganze Land zerstreut sind, alle schmuck, gesund und bequem. In der Tat, wir würden uns vor uns selbst schämen, erlaubten wir – und nur im Großen – die Anfertigung von Gütern unter Bedingungen, welche Nachteile und Verluste für die Einzelnen oder für die Allgemeinheit mit sich brächte.“

Es gibt keine Ausbeutung, keine Umweltverschmutzung, keine Kluften zwischen den Menschen. Das Ziel der Produktion ist nicht mehr die immerwährende Umsatz- und Gewinnsteigerung. Es wird nur noch so viel produziert, wie von den Menschen gebraucht wird. Dadurch ist die Qualität der Waren enorm gestiegen.

Privateigentum ist abgeschafft, daher gibt es auch keine Verbrechen. Parlament ist abgeschafft, das Volk ist das Parlament. Alles wird mehrheitlich entschieden, es wird so lange gewählt, bis auch die letzten von der Idee überzeugt sind. Ist das aber so einfach?

Jaaaa, auch ich würde mir so eine Welt wünschen!!!

Nur leider erfahren wir nicht vom Morris, wie das umgesetzt werden kann. Aber auch Morris nennt es Utopie – einen Traum… und auch 120 Jahre nach der Veröffentlichung wird es ein Traum bleiben.

Und trotz der „perfekten“ Welt habe ich mich gefragt, ob die Menschen nicht doch nach mehr streben, ob die körperliche Arbeit wirklich die angekündigte Erfüllung bringt. Eine Welt, in der Bildung, Literatur, Geschichte als so nebensächlich geschildert werden, wäre nicht mein Paradies.

„Kunde von Nirgendwo“ ist eine Antwort auf „Rückblick aus dem Jahre 2000“ von Edward Bellamy; die Zukunft, die in den beiden Büchern beschrieben wird, könnte aber gegensätzlicher nicht sein. Vielleicht ist es auch nur ein Stück provokative Antwort.

Zum Schluss noch etwas zum Spannungsbogen. Während ich das Buch von Edward Bellamy innerhalb weniger Tage durchgelesen hab, hab ich mit diesem Buch mehrere Wochen verbracht. Die Beschreibungen der Welt fand ich manchmal ermüdend, etwas langatmig, häufig moralisierend.

Ihr merkt schon, ich bin hin- und hergerissen. Das Buch hat mir nicht immer gefallen und manchmal hat es mich sogar gelangweilt. Und trotzdem find ich das Buch bereichernd und gut, ich möchte das Gelesene nicht missen. Oft hab ich mir geärgert und geschimpft – und trotzdem hab ich schon zwei weitere Bücher von William Morris im Schrank und bin überzeugt, dass ich sie auch mit Freude lesen werde. Das Buch hat bei mir viele kontroverse Gefühle ausgelöst. Aber vor allem hat es mir einen meiner Lieblingskünstler näher gebracht und es hat mich zum Nachdenken angeregt – ich hab mir viele Gedanken darüber gemacht, wie meine perfekte Welt aussehen könnte. Das ist mir besonders an den Stellen bewusst geworden, an denen ich mich über die Visionen von Morris geärgert habe.

Ich glaub, die meisten von Euch werden nicht zu diesem Buch greifen, weil Euch das Thema einfach nicht interessiert. So ein oller Klassiker ist eben keine Bestsellerliste, die auf Blogs sonst vorgestellt wird. Empfehlen möchte ich es aber trotzdem, jedem, der sich ein wenig für die „Arts & Crafts-Bewegung“ interessiert und jedem, der sich manchmal fragt, wie unsere Welt verbessert werden könnte.

Die vorliegende Ausgabe vom Golkonda-Verlag enthält zahlreiche Originalbilder von Morris, was das Lesen zum besonderen Genuss macht (wie schon erwähnt, ich liebe seine Kunst). Die Übersetzung (19. Jahrhundert) ist von Natalie Liebknecht (Mutter von Karl Liebknecht) und Klara Steinitz. Die Übersetzung ist um ein Kapitel gekürzt, die fehlende Passage findet man aber im Anhang.

Vielen Dank dem Golkonda-Verlag, dass mir das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. 

Erstellt am November 23, 2014

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Eine Antwort zu “„Kunde von Nirgendwo“ von William Morris”

  1. Hallo Maegwin,
    der Autor William Morris klingt interessant. Ich habe ja einiges von Ernst Bloch gelesen, und dort kommen auch einige Utopien von einer rückwärts gewandten Gesellschaft auf, um die Einflüsse des Kapitalismus wieder zu eliminieren (neben Marx Saint-Simon usw.). Dass vieles Theorie ist, finde ich nicht ganz so schlimm, weil strukturelle Defizite des Kapitalismus aufgezeigt werden. Im letzten Jahr habe ich das höchst interessante Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse" von Sedlacek gelesen. Dass William Morris nur die heile, schöne Welt beschreibt, finde ich in der Tat schade.

    Gruß Dieter

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