Mervy Peake (1911-1968) war ein britischer Illustrator, Lyriker und Autor. Sein bekanntestes Werk ist die Gormenghast-Reihe. Diese war ursprünglich als 5 oder 10 bändiger (je nach Quelle) Roman-Zyklus geplant. Peake erkrankte aber an der Parkinson-Krankheit und konnte nur die ersten zwei Bände fertig stellen, die 1946 und 1950 erschienen sind. Der dritte Band wurde zwar noch zu seinen Lebzeiten 1959 veröffentlicht, er war aber bereits so weit erkrankt, dass der Band hauptsächlich von seinem Lektor erstellt wurde. Ende der 1960er wurde die Reihe „Kult“ und inspirierte viele andere Künstler (z.B. das Album Faith von The Cure). Ein vierter Band aus Fragmenten und Aufzeichnungen ist posthum, mit einer Neubearbeitung des dritten Bands, 2011 erschienen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den ersten beiden Bänden, welche eine in sich geschlossenen Einheit bilden und auch ohne die weiteren Bände gelesen werden können.
Bücher und Autoren werden gerne in Schubladen gesteckt, damit der Leser sich nicht anstrengen muss sich seine eigene Meinung zu bilden und gleich sagen kann: „Nein, so was lese aber ich nicht!“. Da die Gormenghast-Reihe in einem fiktiven Land spielt und etwa zur gleichen Zeit wie TolkiensHerr der Ringe“ erfolgreich wurde, findet man die Bücher hierzulande meist in der Fantasy-Abteilung. Sie haben weder etwas mit der High-Fantasy Tokiens noch mit dem Sword and Sorcery-Genre  à la Conan zu tun. Auch wird er gerne in die Gothic-Ecke gesteckt (dunkle Schlösser, entstellte Bösewichte), dies passt schon ganz gut, wenn man die klassischen Gothic-Novels von Ann Radcliffe  oder Horace Warpole zum Vergleich hinzuzieht. Die Reihe hat aber nichts mit der modernen Version von Gothic mit glitzernden Vampirhengsten zu tun. Im angelsächsischen Sprachraum hat man daher ein neues Genre der „Fantasy of Manners“ erfunden.
Das „Schloß Ortanto“ von Horace Warpole war sicherlich ein Vorbild für den Roman, auch PoesDer Untergang des Houses Usher“ fällt einen gleich ein. Andere Vorbilder kommen aus ganz anderen Genres. Zum Beispiel von den Brontë-Schwestern. Es gibt typische Handlungsstränge eines Regency-Romans, wie die Geschichte um Irma Prunesqallor und Professor Belgrove oder allgemein die Probleme der Charakter mit der sie umgebenen Gesellschaft. Zu Emily BrontësSturmhöhe sind die Parallelen offensichtlich, in beiden Roman ist ein Bauwerk ein „Hauptdarsteller“ im Roman (Wuthering Heights ↔ Gormenghast) und es gibt einen romantischen Bösewicht (Heathcliff ↔ Steerpike). Man kann auch viel der Gesellschaftssatiren Swifts(Guillvers Reisen) oder Dickens (Pickwicker) wiederentdecken. Stark sind Einflüsse von Kafka und expressionistischen Filmen (Das Cabinet des Dr. Caligari), die den surrealen und klaustrophobischen Grundton der Geschichte bestimmen. Mich persönlich hat der Stil der Geschichten sehr an Gustav Meyrink erinnert und es hat mit Fantasy wenig zu tun.
Worum geht es in der Gormenghast-Reihe eigentlich? Wenn man die gesamte Reihe betrachtet ist der gemeinsame Handlungsstrang die Geschichte von Titus Groan, den 77. Graf von Groan. Dieser wird auf Schloss Gormenghast in eine, in hohlen Ritualen erstarrte, Gesellschaft geboren und versucht aus den Fesseln seiner Rolle als Graf zu entkommen. Aber in dem ersten Buch kommt Titus kaum und nur als Kleinkind vor und in zweiten ist er eine Figur unter vielen. Die Bücher handeln schon von dem Leben Titus, aber nicht mit Titus als Hauptperson, sondern anhand der Leben aller Personen um Titus herum. So gibt es kein Hauptcharakter in den Büchern, vielmehr ist das Schloss Gormenghast und seine Bewohner das Thema der ersten beiden Bände. Im dritten verlässt Titus Gormenghast.
Alle Charakter sind wie Titus in den Ritualen Gormenghast gefangen, die schon vor langen ihren Sinn verloren haben und völlig absurd wirken. Alles verfällt, aber es wird stur an den alten Abläufen festgehalten. Das riesige Schloss besitzt Gänge und Räume, die Jahrhunderte nicht betreten worden sind und von denen niemand weiß, wozu sie einmal gedient haben. Die Bewohner haben alle ihre Skurrilitäten und sind grotesk überzeichnet beschrieben. Dies alles nutzt ein sehr wichtiger Charakter für seine Zwecke aus: Steerpike. Er bringt es im Laufe der Geschichte von einfachen Küchenjungen zum mächtigen Meister der Rituale und ist der Gegenspieler von Titus. Dabei nutzt er die Dekadenz seiner Umwelt aus, um mit Intrigen und Mord seine Ziele zu erreichen. Steerpike ist aber nicht durch und durch böse. Auch haben Titus und Steerpike ein ähnliches Motiv, sich nicht mit ihrer vorbestimmten Rolle abzufinden.
Ich könnte jetzt sehr viel über einzelnen Handlungsstränge schreiben oder eine Interpretation liefern, aber ich will es hier so belassen und hoffe die Grundstimmung der Romane ist klar geworden. Die ersten beiden Gormentghast Roman lohnen sich zu lesen. Ich glaube, ihr werdet nichts vergleichbares jemals gelesen haben. Sicher man muss das Düstere, Groteske mögen, in sofern ist der Roman „gotisch“. Auch „Fantasy“ passt, da man in eine andere Welt entführt wird. Aber es ist doch etwas anderes, ein völlig eigenständiges Stück Literatur.
Es gibt eine Oper von Irmin Schmidt und auch eine vierteilige englische Miniserie, die bei Arte gelaufen ist, die ich ganz gelungen fand. Auch wenn sie sich aus dramatischen Gründen mehr auf Steerpikes Geschichte konzentriert, ist sie doch oft nah an den Büchern. Bis auf das Ende, welches wohl aus Kostengründen nicht zu realisieren war. Denn in den Büchern wird Gormenghast am Ende von einer Sintflut heimgesucht.

Gero

Erstellt am August 8, 2013

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